19.11.2005
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Bundesverband
Kongress Orthopädie – Unfallchirurgie 2005
Der ZVK im Schulterschluss mit Orthopäden und Unfallchirurgen
Die Jahreskongresse der Deutschen Gesellschaft der Unfallchirurgen und Orthopäden wurde im Oktober 2004 erstmals direkt aufeinander folgend und mit parallelen Anteilen abgehalten. Der ZVK nahm damals zum ersten Mal als Kooperationspartner daran teil. Diese Kooperation wurde in diesem Jahr auf dem Kongress Orthopädie - Unfallchirurgie vom 19.-22. Oktober 2005 in Berlin noch weiter ausgebaut. Deutliches Merkmal dafür war die Präsenz des ZVK am Gemeinschaftsstand der DGOOC (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie), der DGU (Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie) und des BVO (Bundesverband der Orthopäden). Mit tatkräftiger „Standunterstützung“ seitens des Landesverbandes Berlin konnten etliche Kontakte geknüpft werden und somit rückte die Physiotherapie ins Blickfeld der Mediziner. Viele schätzten die Möglichkeit, sich aus erster Hand über die Situation der Physiotherapie im stationären und ambulanten Bereich, aber auch in Aus- Fort- und Weiterbildung zu informieren.
Das wissenschaftliche Programm des ZVK beschäftigte sich mit dem Thema „Physiotherapie in Orthopädie und Unfallchirurgie: Neue Perspektiven auf bewährte Therapieformen.“ Dabei lag der Schwerpunkt auf der Frage, wie bewährte Therapieformen durch wissenschaftliche Aussagen schon gestützt werden bzw. wie sich Therapieformen erweitern und anpassen müssen, um den heutigen Anforderungen zu entsprechen.
Frauke Mecher, Sprecherin des ZVK-Beirates, zeigte in ihrem Referat über den Einsatz der Vojta-Therapie in der Orthopädie eindrücklich, wie sich die kindliche Entwicklung auf das Bewegungssystem des Erwachsenen auswirkt. Durch den rechtzeitigen „Zugriff“ lasse sich die Fixierung abnormer Haltungs- und Bewegungsmuster im Körperschema verhindern, die sonst zu Fehlentwicklungen im muskuloskelettalen System führen können, so Mecher. Aber auch im Erwachsenenalter bestehe noch die Möglichkeit auf ehemals physiologische Bewegungsmuster zurückzugreifen, um orthopädische Spätschäden zu vermeiden.
In ihrem Vortrag „Integrative Physiotherapie bei chronischen Schmerzen“ erläuterte Hester van Wijnen die neuesten Untersuchungen und Definitionen im Bereich „chronischer Schmerz“. Die vielfältigen Ursachen und Bewältigungsstrategien müssen zu einer komplexeren Sicht auf den Patienten mit chronischem Schmerz führen. Hester van Wijnen appellierte an die Physiotherapeuten, sich intensiver mit dem Thema „Schmerz“ zu befassen. Häufig würden bestimmte Strategien zur Bewältigung des Schmerzes von Therapeuten nicht erkannt oder falsch interpretiert. Damit verschenke man wertvolle Therapiemöglichkeiten, die bei den Patienten den Teufelskreis zur Chronifizierung des Schmerzes durchbrechen können, so van Wijnen.
Eine interessante Überleitung zum Thema und zur Podiumsdiskussion des Nachmittags lieferte Bernd Herbeck mit seinem Referat „Muskeldysbalance – Fact or Fiction“; was (Sport-)Physiotherapie leisten kann. Der Ausgleich einer Muskeldysbalance sei sowohl aus medizinischer als auch aus therapeutischer Seite eine wesentliche Komponente in der Therapie orthopädischer Patienten. Eindrücklich bewies Bernd Herbeck, dass es bisher jedoch keine objektiven und quantifizierbaren Definitionen der Muskeldysbalance gibt. Vielmehr müssen viele Kontextfaktoren berücksichtigt werden, um bei Patienten und Klienten einen solchen Befund zu stellen, der dann in jedem Falle individuell ist und dementsprechend auch eine individuelle Therapie erfordert.
Nach der Mittagspause erläuterte Ulrike Steinecke, Vorsitzende des ZVK, den Werdegang einer multidisziplinären Leitlinie am Beispiel der Leitlinie „Coxarthrose“ und ging der Frage nach, wie und wo dort die Physiotherapie abgebildet ist. In medizinischen Leitlinien werde die Physiotherapie in der Regel nur oberflächlich und nicht mit detaillierten Maßnahmen beschrieben, so die Vorsitzende des ZVK. Das erhalte einerseits die Therapiefreiheit, andererseits müssen sich auch die Physiotherapeuten fragen lassen, ob es nicht inzwischen längst an der Zeit ist, auch für die Physiotherapie einen Behandlungskorridor zu definieren, in welchem nach dem heute verfügbaren besten Wissen und der Erfahrung therapiert wird, betonte Steinecke.
Abschließend gingen die Teilnehmer der Podiumsdiskussion (Hester van Wijnen, Eckhardt Böhle (Generalsekretär des ZVK), Ulrike Steinecke, Dr. Olaf Hasart (Oberarzt in der Orthopädie, Charité Berlin) der Frage nach, ob die Forderungen nach evidenzbasierter Medizin ein Segen oder doch eher ein Fluch für die Medizin sei. Alle Teilnehmer plädierten dafür, die Evidenzbasierung nicht als goldenes Kalb zu verehren, sondern auch klar und eindeutig ihre Grenzen zu erkennen. Sie soll der Hilfestellung dienen und nicht als Knebel die Handlungsfreiheit des Arztes und des Therapeuten einschränken. Vorsicht sei vor allem angebracht, wenn Politik und Kostenträger den Stellenwert von EBM und nationalen Leitlinien nur mit Blick auf eine Rationalisierung im Gesundheitswesen bestimmen. Hier müssen Ärzte und Physiotherapeuten gemeinsam dafür eintreten, dass dieses Instrument so wie es gedacht ist, der Qualitätssicherung in der Versorgung unserer Patienten dient, so die einhellige Meinung der Podiumsteilnehmer.