26.07.2006
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Bundesverband
Der neue Streit um die Kostenerstattung - Teil 2
CONTRA: \"Der komplette Umstieg würde weder Patient noch Arzt helfen\" - Ein Kommentar von Andreas Köhler, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KBV)
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung ist nicht generell gegen Kostenerstattung. Wir sehen die Möglichkeit, dass die Wahloption der Versicherten zwischen Sachleistung und Kostenerstattung nicht nur grundsätzlich bestehen bleibt, sondern noch ausgebaut wird - und zwar ohne die derzeit geltende Befristung auf ein Jahr und zusätzlich erweitert um die Möglichkeit, Kostenerstattung auch nur für Teile des GKV-Leistungskatalogs in Anspruch zu nehmen. Auch die Wahloption der Ärzte, ausschließlich im Kostenerstattungsverfahren zu arbeiten, sollte geprüft werden.
Der Umstieg auf ein alleiniges Kostenerstattungssystem würde aber weder Patienten noch Ärzten helfen. Die Kostenerstattung ist derzeit gesamtgesellschaftlich nicht durchsetzbar und von Patienten nicht gewollt. Für viele Arztpraxen wäre sie mit einem enormen bürokratischen Mehraufwand und wirtschaftlichen Risiken bis hin zur Insolvenz verbunden.
Kostenerstattung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung für alle Versicherten gibt es ja bereits seit mehr als zwei Jahren. Dabei werden Patienten als Selbstzahler zum einfachen Satz der amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) behandelt.
Die Resonanz? Gleich Null. Obwohl viele ärztliche Organisationen dafür werben, gewinnen sie kaum Patienten. So gab beispielsweise der Verband der Angestellten-Krankenkassen (VdAK) im Herbst 2005 bekannt, dass sich gerade einmal 100 000 von 23,5 Millionen Versicherten für das Kostenerstattungsmodell entschieden hatten. Vielen Versicherten scheint das Verfahren zu kompliziert zu sein, und sie wollen das Geld nicht vorschießen. Außerdem ist der Abschluss von Restkostenversicherungen unpopulär.
Diejenigen, die einen Umstieg auf ein reines System der Kostenerstattung propagieren, am besten noch mit 1,7- bis 2,3fachen Abrechnungssätzen, müssen dem Bürger ehrlich sagen, dass sie ihm erhebliche Mehrbelastungen zumuten wollen. Sie tun dies wohlweislich jedoch nicht.
Außerdem muss mit einem Forderungsausfall zwischen zehn bis 15 Prozent gerechnet werden - und das hochgerechnet auf den gesamten Praxisumsatz! Dies zeigen Erfahrungen von Branchen, die mit Direktabrechnungen arbeiten. Das Inkassorisiko stellt einen Aspekt des enormen bürokratischen Mehraufwands dar, der auf die Praxen im Falle der Kostenerstattung zukommen würde.
Eine Vorahnung davon hat doch die Praxisgebühr gezeigt, eine Zuzahlung also, die in den Praxen direkt von den Patienten erhoben wird. Gemäß einer Erhebung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung fielen im Jahr 2004 rund 173 Millionen Bearbeitungsfälle in Sachen Praxisgebühr an. Dafür wendeten Ärzte und Psychotherapeuten rund 8,3 Millionen Stunden auf.
Die Grundlage für die Kostenerstattung ist zudem eine staatliche Gebührenordnung. Diese unterläge stärker der politischen Einflussnahme als heute der Einheitliche Bewertungsmaßstab.
Quelle: Ärzte-Zeitung vom 21.07.2006