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12.11.2008 – Bundesverband

Fibromyalgie-Leitlinie im Web: www.dgrh.de/leitliniefms.html Ärztezeitung 16.09.08

Die Fibromyalgie - ein oft verkanntes Leiden Qualen unklarer Herkunft

Nicola von Lutterotti

In der Vergangenheit oft als Hirngespinst arbeitsunwilliger Hypochonder abgetan, besitzt die zu den chronischen Schmerzkrankheiten zählende Fibromyalgie mittlerweile einen festen Platz im Katalog der anerkannten Krankheiten. Dennoch fällt es vielen Ärzten noch schwer, das etwa ein bis vier Prozent der Bevölkerung - fast nur Frauen - betreffende Leiden als solches anzuerkennen. Ein wesentlicher Grund für die verbreitete Skepsis ist, dass den körperlichen Qualen keine greifbaren organischen Ursachen zugrunde liegen. Denn während etwa rheumatisch bedingte Beschwerden mit messbaren Veränderungen des Bewegungsapparats und der Blutwerte einhergehen, hinterlässt die Fibromyalgie keine Spuren - jedenfalls keine, die sich mit den herkömmlichen Verfahren zweifelsfrei erkennen ließen. Darauf hat der Rheumatologe Jörg Jeger aus Luzern in der vergangenen Woche anlässlich eines am Bethesda-Spital in Basel veranstalteten Symposions über Fibromyalgie hingewiesen.

Als Zeichen einer Fibromyalgie gelten - abgesehen von den über den ganzen Körper verteilten Schmerzen - die sogenannten Tender-Points. Das sind Stellen, die auf Druck ungewöhnlich schmerzempfindlich reagieren. Definitionsgemäß müssen mindestens elf solche im Bereich der Muskelansätze befindliche Druckpunkte vorhanden sein, damit die einschlägigen diagnostischen Kriterien erfüllt sind. Zurückgeführt wird die Überempfindlichkeit auf eine gestörte Schmerzverarbeitung im Gehirn. So gibt es Hinweise darauf, dass die schmerzdämpfenden Strukturen der Betroffenen nicht richtig funktionieren und die schmerzverstärkenden zugleich übermäßig aktiv sind. In der Summe führen diese Defekte zu einer stark herabgesetzten Schmerzschwelle. Patienten mit anderen Schmerzerkrankungen seien hiervon nicht betroffen, sagte Wolfgang Eich von der Sektion Integrierte Psychosomatik der Universität Heidelberg.

Die Frage nach den Wurzeln der Fibromyalgie bereitet den Experten nach wie vor erhebliches Kopfzerbrechen. Unklar ist zudem, ob die häufig zusätzlich auftretenden Störungen wie Schlafschwierigkeiten, Erschöpfung, Kopfschmerzen, Gelenkbeschwerden und Depressivität auf denselben Ursachen beruhen oder eher als Folge zu sehen sind. Als mögliche Auslöser der Fibromyalgie gelten psychische Strapazen, zu starke körperliche Belastung, genetische Einflüsse, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und durch Infektionen verursachte Fehlfunktionen des Immunsystems, etwa Autoimmunreaktionen. Für jede der erwähnten Hypothesen, das wurde auch in Basel deutlich, gibt es mehr oder weniger überzeugende Indizien. Einigkeit scheint gleichwohl darin zu bestehen, dass jene Patienten, die sich an einen Arzt wenden, in ihrer Jugend auffallend häufig extremen psychischen Belastungen ausgesetzt waren. Wie Peter Keel von der Klinik für Psychiatrie und Psychosomatik am Bethesda-Spital berichtete, weisen die Betroffenen zudem oft bestimmte Persönlichkeitsmerkmale auf, die zu einer Selbstüberforderung oder gar zur Ausbeutung durch andere führen können. Typisch sei etwa eine geringe Durchsetzungsfähigkeit gepaart mit der Neigung, sich sogar den widerlichsten äußeren Umständen zu fügen. Auch leugneten die Betroffenen häufig emotionale Schwierigkeiten, sie seien konfliktscheu, wollten es allen recht machen und hätten dabei Angst vor Kritik und Zurückweisung. Verbreitet sei zudem ein Hang zum Perfektionismus. Dem geringen Selbstbewusstsein liegen Keel zufolge oft traumatische Erfahrungen in der Kindheit zugrunde, etwa ein Mangel an elterlicher Zuwendung, Entbehrungen, harte Strafen und sexueller Missbrauch.

Bevor eine Fibromyalgie erkannt wird, vergehen häufig viele Jahre, in denen die Patienten von Arzt zu Arzt pilgern. Heilen lässt sich die Erkrankung bislang zwar nicht, aber sowohl die Schmerzen als auch die begleitenden Störungen kann man mittlerweile gut angehen, wie Winfried Häuser vom Zentrum für Schmerztherapie am Klinikum Saarbrücken erläuterte. Für welche Therapien ein Wirksamkeitsbeleg erbracht werden konnte und für welche nicht, haben Experten der einschlägigen medizinischen Fachgesellschaften jüngst in der "Deutschen Interdisziplinären Leitlinie" zusammengetragen. Nachweislich profitieren können die Betroffenen demnach von körperlicher Aktivität, einer kognitiven Verhaltenstherapie, von bestimmten Antidepressiva und, in besonderem Maße, von einer Kombination der einzelnen Verfahren, sei es ambulant oder stationär.

Was die Behandlung mit Medikamenten betrifft, kommt den Depressionsmitteln ein besonderer Stellenwert zu. Hiermit lassen sich nicht nur die depressiven Symptome angehen, sondern auch die Schmerzen und Schlafstörungen, wie Edith Holsboer von den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel erläuterte. Ausschlaggebend für die Wahl eines geeigneten Medikaments sei, welche der die Fibromyalgie begleitenden Symptome im Vordergrund stünden - die Schlafstörungen oder eher die Depressionen.

Die auf der Tagung in Basel versammelten Experten warnten davor, solche Medikamente im Internet zu bestellen. So kann man etwa 5-Hydroxytryptophan, eine Vorstufe des stimmungsaufhellend wirkenden Nervenstoffs Serotonin, im Internet beziehen. Wie Dieter Michel vom Interdisziplinären Rücken- und Schmerzzentrum am Bethesda-Spital ausführte, besteht dabei aber die Gefahr einer Überdosierung. Als riskant bezeichneten viele Experten zudem chirurgische Verfahren, bei denen angebliche Ablagerungen an Akupunkturpunkten entfernt werden. Die Wirksamkeit solcher Eingriffe, die schon schwere Verstümmelungen hervorgerufen haben sollen, sei wissenschaftlich nicht belegt

Quelle: 17/09/2008, Natur&Wissenschaft