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Iserlohn/Hagen. Rund 8.000 niedergelassene Hausärzte gibt es in Westfalen-Lippe. 334 von ihnen kämpfen derzeit gegen Regressforderungen für zu viel verordnete Heilmittel. Das scheint nicht viel. Doch wen es erwischt, den erwischt es meist richtig. Deswegen verschreiben jetzt alle vorsichtiger.

Im Wartezimmer von Dr. Thomas Schmidt hängt gerahmt ein Schreiben. Ein Satz ist gelb unterstrichen. 18 000 Euro, steht da, soll Schmidt den Krankenkassen zurückzahlen. 5000 Euro wurden zuvor schon einbehalten. Weil er von 2002 bis 2005 zu viele Heilmittel verordnet hat. „Massagen oder Krankengymnastik”, sagt Schmidt.

Der 54-Jährige, der gemeinsam mit seiner Frau Viviane eine Praxis betreibt, ist zwar Hausarzt, aber er gilt als Spezialist für Sportverletzungen. Kaum ein Verein in der Waldstadt, den Schmidt in den vergangenen Jahren noch nicht betreut hätte. Und wenn das Kreuzband im Knie reißt oder die Wirbelsäule gestaucht ist, dann stehen die Vereinsmitglieder bei Schmidts auf der Matte. Egal, ob die Verletzung im Training, beim Spiel oder im Ski-Urlaub entstanden ist. „Wir haben ein anderes Klientel, als viele Kollegen."

Wohl ein ähnliches wie Dr. Jörg Burkl aus Hagen. Seit 13 Jahren betreibt der 46-Jährige dort eine Hausarztpraxis. Und auch bei ihm stehen die Sportler Schlange. „Da ist es doch ganz natürlich, dass ich mehr Massagen verschrieben habe, als andere Hausärzte”, findet Burkl. So viel mehr, dass er nun 26 000 Euro nachzahlen soll. „Da muss man erst einmal schlucken”, gibt Schmidt zu.

Zumal es Geld ist, das die Hausärzte nie gesehen haben, sondern das an die Masseure oder Krankengymnasten geflossen ist. Vor allem aber, weil sich weder Burkl noch Schmidt oder einer ihren Kollegen einer Schuld bewusst sind. Denn mit Inkrafttreten des neuen Heilmittel-Kataloges im Jahr 2001 gab es eigentlich keine Beschränkungen. Im Gegenteil: Im Katalog ist genau aufgeführt, welches Heilmittel nach welcher medizinischen Diagnose verschrieben werden darf. „Daran habe ich mich gehalten”, sagt Schmidt. Und Kollege Burkl bestätigt: „Wohlfühl-Massagen habe ich nie aufgeschrieben."

Prüfungs- und Berufungsausschuss hat das bisher nicht interessiert. Trotz seitenlangen Erläuterungen seitens der Ärzte konnten sie keine besonderen Umstände erkennen und bestehen auf Zahlung. Die Ärzte lägen nun einmal über dem Durchschnitt der Verschreibungen. „Ein Durchschnitt”, ärgert sich Schmidt, „den damals niemand kannte. Mit Gerechtigkeit hat das nichts mehr zu tun.” Deshalb ist er vor das Sozialgericht gezogen.

Für Ulrich Thamer, Vorstandsvorsitzender der KVWL gut nachvollziehbar: „Das gestiegene Haftungsrisiko muss von den Ärzten als ungerecht empfunden werden, zumal sie regelkonform verordnen”, sagt er und fordert: „Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Bereich der Heilmittel gehören abgeschafft.” Der Heilmittel-Katalog als Maßstab der Wirtschaftlichkeit sei ausreichend.

Eine Forderung, die bei NRW-Landessozialminister Karl-Josef Laumann nicht gut ankommt. „Verantwortung abschieben” sei das, findet der Minister und vermutet, die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen Lippe hätte wohl „schlecht verhandelt mit den Krankenkassen”. Schlechter jedenfalls, als andere KVs, bei denen das Budget für Heilmittel viel höher ist. KVWL-Sprecher Andreas Daniel zeigt sich verwundert über die Minister-Reaktion. „Da gab es nicht viel zu verhandeln.” Richtgröße für das Budget seien 2001 die durchschnittlichen Verschreibungen der Vorjahre gewesen. „Wir werden”, ärgert sich Daniel, „heute dafür bestraft, dass wir früher so sparsam waren”.

„Ärgerlich” sei das, finden auch Burkl und Schmidt, die nun auch beide weniger Heilmittel verschreiben. Natürlich sei die ärztliche Versorgung nicht gefährdet, aber nun schmerze ein Knie oder der Rücken eventuell länger als früher. „Letztendlich”, sagt Thomas Schmidt, „müssen die Patienten die Sache ausbaden”.

 Quelle: Derwesten.de, Westfalen, 03.09.2008

 Siehe hierzu ZVK news vom 25.08.2008

"Mit großem Unverständnis hat der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann auf eine Unterschriftenaktion der Kassenärztlichen Vereinigung und des Hartmannbundes Westfalen-Lippe reagiert."